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Pasta-Politik zum Zweiten (Leserbrief)

Von Michael Derrer, Rheinfelden

Auf meinen neulichen Leserbrief habe ich mehrere interessante Reaktionen erhalten. Offenbar hat sich das Thema als ebenso klebrig erwiesen wie verkochte Spaghetti. Daher möchte ich die kulinarische Untersuchung fortsetzen. Als Soziologe fasziniert mich, wie Lokalpolitik funktioniert – oder auch nicht.
Die Demokratie sieht vor, dass Politiker das Gemeinwohl fördern, im Wettstreit der Ideen die besten Lösungen finden, und bei Interessengegensätzen Kompromisse schliessen. Schon Aristoteles warnte vor dem Abdriften der Demokratie. In meiner schönen Wohngemeinde habe ich ein Phänomen beobachtet, das ich «Pasta-Politik» nenne. Es handelt sich dabei um eine spezifische Umgangsform, die sich nicht einem Individuum zuordnen lässt und die zeigt, wie das Ideal und die real existierende Demokratie auseinanderklaffen können. In der Welt der Pasta-Politik gelten andere Spielregeln:
«Pasta-Politiker» wählen sorgfältig aus, wo sie zu Abend essen. Als Stammgäste von Restaurant A meiden sie Restaurant B konsequent und demonstrieren so ihre Haltung ohne Worte: «Hier essen die richtigen Leute, und dort – die anderen.» Pasta-Politiker fällen Entscheidungen lieber hinten im «Säli» und servieren sie denen, die Zutritt zur Küche haben. Vorschläge anderer werden grundsätzlich abgelehnt oder im passenden Moment übernommen – Hauptsache, der eigene Sitzplatz am Kopf des Tisches bleibt gesichert.
Die «Gnocchi-Getreuen», diese loyalen Anhänger – weich, formbar und leicht verdaulich – folgen den Pasta-Politikern. Sie drehen sich im Restaurant demonstrativ weg, um Begegnungen zu vermeiden. In den sozialen Medien vergeben sie Likes nur den «Eigenen», unabhängig vom Inhalt. In Wortmeldungen zielen sie auf die Person, statt sachlich zu argumentieren.
Die Gruppe der «Menü-Favoriten» geniesst scheinbare Vorteile – manchmal sogar finanzielle –, ohne zu erkennen, dass sie von den Pasta-Politikern lediglich als Beilage verwendet werden. Ihre Privilegien sind oft kurzlebig. Am Ende tragen sie die Kosten der vermeintlichen Chancen: Ihre Projekte riskieren zu scheitern, wenn sie auf Zusicherungen von Pasta-Politikern statt auf objektiven Voraussetzungen beruhen.
Die «Salat-Gucker» schauen, statt sich einzumischen, in der Ecke sitzend, lieber weg und stochern in ihren Endivie-Blättern. Sie spielen nach den vorgegebenen Regeln, auch wenn sie sehr wohl wissen, dass in der Küche einiges im Argen liegt. «Wenn der Kellner diese Sauce serviert, muss das ja schon seinen Grund haben», flüstern sie sich zu und hoffen, dass ihr Tisch nicht umgestossen wird.
Die «Kaffee-Trinker» schliesslich beobachten das Geschehen, ohne sich am Hauptgericht zu beteiligen. Sie nehmen die Hinterzimmer-Intrigen wahr, glauben aber, dass es sich nicht lohnt, etwas zu ändern. Oder sie denken, dass sich die Dinge von allein regeln. Doch wie die Erfahrung zeigt, geht der Kaffee immer schneller aus, als Veränderungen eintreten.
Bei den obigen Beschreibungen handelt es sich, wohlgemerkt, um Rollen. Jeder Mensch, der heute gemäss den Regeln der Pasta-Politik spielt, hat auch die Möglichkeit, sich anders zu verhalten – als verantwortungsbewusster Politiker, fairer Mitstreiter im Wettbewerb, als aktive Bürgerin oder einfach als empathischer Mensch. Es liegt an uns, ob wir uns mit den ungeschriebenen Spielregeln der Pasta-Politik abfinden wollen.
Was, wenn wir eines Tages das Rezept ändern? Wenn wir aufhören, immer dieselben Zutaten zu verdauen und stattdessen etwas Frisches ausprobieren? Vielleicht erwartet uns eine Politik, in der Vorschläge nach ihrem Inhalt und nicht nach ihrem Verfasser bewertet werden, in der offene Diskussionen wichtiger sind als die Plätze am Tisch, und in der gemeinsame Lösungen keine Fiktion bleiben, sondern Realität werden.
Ich träume von einer Lokalpolitik, in dem das Gericht der Demokratie aus hochwertigen Zutaten zubereitet wird: Transparenz und Gerechtigkeit als Basis, gewürzt mit Respekt, Verantwortung und einer guten Prise Dialogbereitschaft. Nur so können wir erreichen, dass in unserer wunderbaren Stadt der Gemeinsinn regiert.
Und die Überreste der Pasta-Politik? Die gehören dahin, wo sie hingehören. Auf den Kompost.